52. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
Erteilt am 09.03.2010. Genehmigung erweitert am 09.04.2010 (siehe 2.). Registereintrag zuletzt aktualisiert am 04.07.2013.
1. Genehmigungsinhaber(in)
Max-Planck-Gesellschaft (Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin, Münster)
2. Zell-Linien
Die vorgesehenen Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (Wicell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (Wicell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HUES 2 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- HUES 6 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- NCL-3 (Newcastle Fertility Centre, Newcastle upon Tyne, Großbritannien)
- NCL-4 (Newcastle Fertility Centre, Newcastle upon Tyne, Großbritannien)
- Shef 3 (University Sheffield, Sheffield, Großbritannien)
Im Rahmen der Erweiterung der Genehmigung vom 09.04.2010 wurden zur Durchführung der unten benannten Forschungsarbeiten die Einfuhr und Verwendung humaner embryonaler Stammzellen der folgenden weiteren Linie genehmigt:
- H7 (Wicell Research Institute, Madison, WI, USA)
Die Genehmigung gilt jeweils auch für die Einfuhr und Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linie(n).
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Gegenstand der genehmigten Forschungsarbeiten ist die Erarbeitung und Optimierung neuer Protokolle für die Differenzierung humaner embryonaler Stammzellen (hES-Zellen) in funktionsfähige Nerven- und Herzmuskelzellen. Anknüpfend an in der Vergangenheit genehmigte Projekte soll hier zunächst untersucht werden, wie sich die Hemmung bzw. Aktivierung bestimmter intrazellulärer Signalübertragungswege auf die Differenzierung von hES-Zellen zu neuronalen Zellen auswirkt. Insbesondere sollen neue, teils auf genetischer Modifizierung der genutzten hES-Zell-Linien basierende Methoden für die Bereitstellung terminal differenzierter dopaminerger Neurone und Motoneurone erarbeitet werden. Durch Transfer und Überexpression bzw. durch Hemmung der Expression von Genen, deren Produkte bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen eine Rolle spielen, sollen auf der Basis von hES-Zellen ferner Zellmodelle für diese Erkrankungen bereitgestellt werden. Auf Grundlage von aus hES-Zellen differenzierten Zellen des zentralen und peripheren Nervensystem sollen zudem In-vitro-Test etabliert werden, an denen (für neurodegenerative Erkrankungen) typischer degenerativer Stress induziert und Endpunkte für die Bestimmung stressinduzierter Neurotoxizität identifiziert bzw. validiert werden können. An den im Vorhaben etablierten Zellmodellen sollen dann niedermolekulare Substanzen u. a auch im Hochdurchsatzverfahren hinsichtlich einer möglichen neuroprotektiven Wirkung untersucht werden.
Weiterhin sollen verschiedene Protokolle für die Herzzell-Differenzierung humaner ES-Zellen vergleichend evaluiert und optimiert werden, wobei die Prozesse der In-vitro-Differenzierung von der undifferenzierten Stammzelle bis hin zur reifen Herzmuskelzelle unter Verwendung verschiedener auf hES-Zellen basierender Reporter-Zell-Linien analysiert und Methoden zur Anreicherung von differenzierten Herzmuskelzellen erarbeitet werden sollen. Nach umfassender Charakterisierung sollen aus hES-Zellen differenzierte Herzmuskelzellen dann in einem In-vitro-Testsystem auf ihre Fähigkeit untersucht werden, toxische Wirkungen zugelassener Arzneimittel und potentieller Wirkstoffe am menschlichen Herzen zu detektieren, was unter Verwendung einer Bibliothek von pharmakologisch wirksamen Substanzen erfolgen soll. Ferner sollen hES-Zellen auch für Vergleichszwecke in Untersuchungen zur kardialen Differenzierung von (krankheitsspezifischen) humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) genutzt werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten an hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des RKI hochrangigen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der Grundlagenforschung sowie der Erweiterung von Kenntnissen bei der Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren zur Anwendung beim Menschen. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:
Ziel der beantragten Arbeiten ist die Erlangung eines verbesserten Verständnisses jener Prozesse, die auf zellulärer und molekularer Ebene bei der Differenzierung von humanen embryonalen Stammzellen zu neuronalen und kardialen Zellen ablaufen. Insbesondere durch systematische Veränderung der Differenzierungsbedingungen sollen neue Moleküle und Signalübertragungswege identifiziert werden, die bestimmend für die neurale und kardiale Differenzierung sind und deren Beeinflussung zu effizienteren In-vitro-Protokollen für diese Differenzierung führen kann. Dies ist von hoher Relevanz für die Grundlagenforschung, da sich hieraus Erkenntnisse über zellbiologische und molekulare Vorgänge der frühen Embryonalentwicklung des Menschen ergeben können. Zum anderen sind entsprechende Erkenntnisse voraussichtlich von erheblichem Nutzen für die Etablierung verbesserter In-vitro-Protokolle für die neuronale und kardiale Differenzierung menschlicher pluripotenter Zellen. Verbesserte Protokolle auf diesem Gebiet können zur Bereitstellung reinerer Populationen funktionaler menschlicher Nerven- und Herzzellen beitragen, die sowohl für Fragestellungen der Grundlagenforschung als auch in der Perspektive für künftig denkbare regenerative Therapien Anwendung finden könnten.
Ferner sollen hES-Zellen genetisch so verändert werden, dass aus ihnen neurale/neuronale Zellen mit einem für eine neurodegenerative Erkrankung spezifischen Phänotyp abgleitet werden können. Dazu sollen zum einen hES-Zellen genetisch so modifiziert werden, dass sie die für die Entstehung einer neurodegenerativen Erkrankung verantwortliche dominant-negative Mutante bestimmter Gene enthalten. Im Laufe ihrer neuralen Differenzierung wird dann das Auftreten des für die entsprechende Erkrankung typischen Phänotyps erwartet. Zum anderen soll durch Unterdrückung der Expression bestimmter Gene, beispielsweise nach Transfer RNAi in hES-Zellen, ebenfalls ein krankheitsspezifischer Phänotyp in neural/neuronal differenzierten Zellen erzeugt werden. Die Analyse der Zellen während und nach ihrer Differenzierung kann bereits per se Erkenntnisse über die Pathophysiologie der entsprechenden Erkrankung erbringen. Vor allem sollen diese Zellen aber in vergleichenden Untersuchungen mit neuralen/neuronalen Zellen verwendet werden, die aus hiPS-Zellen von Patienten mit der entsprechenden neurodegenerativen Erkrankung differenziert wurden. Dadurch soll überprüft werden, ob und inwieweit spezifische Eigenschaften von aus hiPS-Zell-abgeleiteten Neuronen tatsächlich die Pathophysiologie der entsprechenden Erkrankung spiegeln und nicht beispielsweise auf Artefakte infolge der Reprogrammierung zurückzuführen sind.
Die aus hES-Zellen gewonnenen neuralen Zellen sollen dann zur Etablierung von Essays verwendet werden, in denen die Wirkung degenerativen Stresses auf molekularer Ebene untersucht werden kann. Derartige Zellmodelle können u. a. zur Identifizierung von Molekülen und Signalwegen dienen, die an der Auslösung durch degenerativen Stress induzierter zellschädigender Ereignisse beteiligt sind. Dies kann ggf. zu einem verbesserten Verständnis der Pathophysiologie und Pathobiochemie degenerativer Erkrankungen des Nervensystems beitragen. Gegebenenfalls könnten auch neue zelluläre Zielstrukturen (targets) für die Entwicklung von Wirkstoffen zur Behandlung dieser Erkrankungen identifiziert werden. Die Nutzung der im Vorhaben etablierten Zellmodelle zum Screening von Bibliotheken niedermolekularer Substanzen kann zudem zur Identifizierung von Substanzen beitragen, die eine neuroprotektive Wirkung aufweisen. Dies könnte sowohl zur Aufklärung von molekularen Mechanismen neuroprotektiver Effekte beitragen als auch Grundlage für die Entwicklung neuer Wirkstoffe zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen sein.
Die genehmigten Forschungsarbeiten schließen auch die Durchführung von proof-of-principle-Experimenten zur Entwicklung und Überprüfung eines auf aus hES-Zell-abgeleiteten Kardiomyozyten beruhenden In-vitro-Testsystems ein. Unter Nutzung von sog. Mikroelektroden-Arrays (MEAS) soll analysiert werden, ob und in welcher Weise pharmakologisch wirksame Substanzen die elektrophysiologischen Eigenschaften menschlicher kardialer Zellen beeinflussen, insbesondere hinsichtlich von Veränderungen im sog. QT-Intervall. In der Vergangenheit wurden derartige Veränderungen als eine Ursache für teils erhebliche kardiale Nebenwirkungen von zugelassenen Medikamenten identifiziert.. Derartige Testsysteme könnten einen erheblichen Beitrag zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit leisten, da sie voraussichtlich – im Gegensatz zu derzeit verwendeten (z.B. auf primären Herzzellen von Hunden beruhenden) Testsystemen – spezifische Aussagen über Wirkungen von Substanzen auf menschliche Herzzellen zulassen würden.
Weiterer Gegenstand der genehmigten Forschungsarbeiten sind Untersuchungen vor allem zum kardialen Differenzierungspotential humaner iPS-Zellen. Geplant ist, hiPS-Zellen aus Patienten mit spezifischen koronaren Erkrankungen (z.B. Romano-Ward-Syndrom) zu etablieren und diese zu kardialen Zellen zu differenzieren. Derartige Zellen könnten dann beispielsweise zur Untersuchung molekular-pathologischer Vorgänge genutzt werden, um ein besseres Verständnis von Ursachen und Auswirkungen der Krankheit auf zellulärer Ebene zu erlangen, oder bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe zur Behandlung der Krankheit Verwendung finden. Hierzu werden – neben hiPS-Zellen gesunder Probanden – zu Vergleichszwecken auch hES-Zellen benötigt, um abschätzen zu können, ob und inwieweit die jeweils gewonnnen hiPS-Zell-Linien den Ansprüchen an eine pluripotente Zelle genügen und ob ihr kardiales Entwicklungspotential mit dem von originären pluripotenten Stammzellen, den hES-Zellen, vergleichbar ist.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt und der Übergang zur Nutzung humaner ES-Zellen folglich gerechtfertigt ist.
Protokolle zur neuronalen und kardialen Differenzierung von nicht-humanen embryonalen Stammzellen sind aus der Literatur hinlänglich bekannt. Die geplanten Arbeiten knüpfen, wie im Antragsverfahren dargelegt wurde, zudem maßgeblich an einen in der wissenschaftlichen Literatur seit einiger Zeit etablierten umfangreichen Wissensstand zu molekularen Grundlagen der Pluripotenz und zu den Mechanismen bei der Auslösung früher Differenzierungsereignisse in humanen ES-Zellen sowie an zahlreiche bereits bekannte Arbeiten über die gerichtete Differenzierung humaner pluripotenter Stammzellen in neurale und kardiale Zellen an.
Im Antragsverfahren wurden u. a. auch Ergebnisse aus jüngsten Arbeiten an sog. Epiblast-Stammzellen von Mäusen dargelegt, die nach derzeitiger Auffassung in einigen Aspekten humanen ES-Zellen stärker gleichen als herkömmliche murine ES-Zellen. Es konnte gezeigt werden, dass Vorgehensweisen, die im genehmigten Projekt auf hES-Zellen übertragen werden sollen, in Epiblast-Stammzellen erfolgreich waren.
Ferner wurde darauf verwiesen, dass In-vitro-Testsysteme, die auf aus murinen ES-Zellen abgeleiteten kardialen Zellen beruhen, bereits seit einiger Zeit der Abschätzung entwicklungstoxikologischer Risiken von Wirkstoffen dienen, so dass auch die beabsichtigte Entwicklung entsprechender Testsysteme auf Grundlage humaner ES-Zellen plausibel ist und als ausreichend vorgeklärt angesehen wird.
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Die beantragten Arbeiten an hES-Zellen dienen der Erlangung eines besseren Verständnisses von frühen Prozessen der kardialen und neuronalen Differenzierung beim Menschen. Hierfür sind wegen spezies-spezifischer Besonderheiten in der Embryonalentwicklung humane Zellen erforderlich. Da nur mit embryonalen Stammzellen die hier interessierenden Entwicklungsprozesse von der frühen Determinierung/Spezifizierung bis hin zur Entstehung terminal differenzierter somatischer Zellen in vitro nachgebildet werden können, sind zur Erreichung der Forschungsziele humane embryonale Stammzellen erforderlich.
Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten sollen ferner neue und effiziente Protokolle für die Bereitstellung hochangereicherter Populationen funktionsfähiger menschlicher Neuronen und Kardiomyozyten entwickelt werden. Gerade mit der zunehmenden Optimierung von Differenzierungsprotokollen werden jedoch teils diffizile spezies-spezifische Unterschiede sichtbar, die gegebenenfalls von erheblicher Relevanz für den Erfolg einer Vorgehensweise bei der In-vitro-Differenzierung sein können. Insofern erfordert die Entwicklung geeigneter Differenzierungsprotokolle für humane Zellen ebenfalls Untersuchungen an humanen Zellen. Da zudem der gesamte Differenzierungsprozess untersucht werden soll, beginnend mit den molekularen Grundlagen von Richtungsentscheidungen in hES-Zellen für eine bestimmte Differenzierung bis hin zu Fragen der Anreicherung terminal differenzierter Zellen, ist die Verwendung humaner embryonaler Stammzellen notwendig.
Schließlich sollen hES-Zellen für Vergleichszwecke mit hiPS-Zellen verwendet werden. Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass hiPS-Zellen – je nach verwendetem Ausgangsmaterial und genutzter Vorgehensweise bei der Reprogrammierung – teils erhebliche Unterschiede in ihren Eigenschaften aufweisen können. Es ist daher notwendig – und im übrigen auch internationaler Standard –, hiPS-Zellen in für die wissenschaftliche Zielstellung wesentlichen Eigenschaften jeweils mit originären pluripotenten menschlichen Zellen zu vergleichen. Zudem sind hES-Zellen die derzeit bestcharakterisierten pluripotenten menschlichen Zellen.
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