164. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaber(in)
Herr Prof. Dr. med. Franz-Ulrich Hartl, Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linie:
- H9 (Wicell Research Institute, Madison, WI, USA)
Die Genehmigung gilt jeweils auch für Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linie.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Gegenstand der genehmigten Forschungsarbeiten ist die Untersuchung der molekularen und zellbiologischen Mechanismen von Zellschädigungen bei sog. Synucleinopathien. Bei Synucleinopathien wie beispielsweise bei der Parkinsonschen Krankheit (Parkinson disease, PD) oder bei der Multiplen Systematrophie (MSA) handelt es sich um neurodegenerative Erkrankungen, die mit der Akkumulation von α-Synuclein-Aggregaten in neuralen Zellen einhergehen. Im Forschungsvorhaben sollen zunächst In-vitro-Modelle für die Bildung von derartigen Proteinaggregaten in humanen neuralen Zellen etabliert werden, an denen dann die Feinstruktur der Aggregate detailliert untersucht, ihre toxischen Wirkungen auf die Ultrastruktur der Zellen analysiert und Wechselwirkungspartner dieser Proteinaggregate identifiziert werden sollen. Ferner sollen in aus hES-Zellen abgeleiteten neuralen Zellen die Prozesse des Abbaus von Mitochondrien (Mitophagie) auf ultrastruktureller Ebene untersucht werden. Die für die Integrität der Zelle erforderliche störungsfreie Mitophagie ist bei den genannten neurodegenerativen Erkrankungen auf verschiedene Weise beeinträchtigt, was zu pathologischen Veränderungen auf zellulärer Ebene führt. Zudem soll der Einfluss der Präsenz von Mutationen, die mit familiär bedingten Formen von PD assoziiert sind, auf die Mitophagie und die mit ihr verbundenen Signalwege in hES-Zell-abgeleiteten neuralen Zellen bestimmt werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen dienen nach übereinstimmender Auffassung des Robert Koch-Instituts (RKI) und der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung bei der Erforschung der molekularen Ursachen neurodegenerativer Erkrankungen.
PD wird durch den Verlust dopaminerger Neurone in der Substantia nigra pars compacta verursacht und ist – nach dem Morbus Alzheimer – die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung, von der allein in Deutschland etwa 250000 bis 280000 Patienten betroffen sind. Eine kausale Therapie von PD ist bislang nicht möglich, die Behandlung erfolgt mittels dopaminerger Medikation und unterstützender Therapiemaßnahmen, wodurch das Fortschreiten der Krankheit hinausgezögert werden kann.
Ein wesentliches Charakteristikum der Neurone von an PD erkrankten Patienten ist die Ablagerung von unlöslichen Proteinaggregaten, die aus fehlgefaltetem α-Synuclein bestehen, und die den Hauptbestandteil der kompakten, im Zellkörper befindlichen sog. Levy-Körperchen bilden. α-Synuclein-Aggregate treten aber auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen auf, beispielsweise bei Multipler System-atrophie (MSA). Da PD und MSA eine unterschiedliche Symptomatik haben und die α-Synuclein-Aggregate eine voneinander verschiedene Form und Lokalisation aufweisen, ist die Klärung der Frage nach den strukturellen und ultrastrukturellen Eigenschaften und Besonderheiten der Aggregate, ihrer Ausbreitung im Gehirn sowie ihren zellulären Wechselwirkungspartnern für das Verständnis der molekularen Pathologie dieser Synucleinopathien von erheblicher Bedeutung.
Zunächst soll ein auf ausschließlich humanen Komponenten beruhendes In-vitro-Modell etabliert werden, an dem die Bildung und Ausbreitung von α-Synuclein-Aggregaten, aber auch deren Ultrastruktur und Wechselwirkungspartner, untersucht werden können. Aus hES-Zellen differenzierte neurale Zellen werden dazu in sog. seeding-Ansätzen mit post mortem aus Patientenmaterial gewonnenen α-Synuclein-Aggregaten inkubiert, die die Bildung endogener α-Synuclein-Komplexe bzw. Levy Body-ähnlicher Aggregate in den Zellen induzieren. Die Etablierung eines derartigen, rein humanen Zellmodells ist – insbesondere im Hinblick auf die unterschiedlichen Eigenschaften von murinem und humanem α-Synuclein – für die Erforschung der Eigenschaften von α-Synuclein-Aggregaten und deren Rolle in humanen Synucleinopathien bereits von Relevanz. An diesem Modell können dann mit einer Kombination von elektronen- und fluoreszenzmikroskopischen Verfahren die Lokalisation, Struktur und Ausbreitung der Aggregate in nanometergenauer Auflösung gewonnen werden, wodurch aller Voraussicht nach neue Erkenntnisse über die Feinstruktur der α-Synuclein-Aggregate und ihre Ausbreitung in humanen Nervenzellen erlangt werden können und woraus sich ggf. Rückschlüsse auf die molekularen Mechanismen der Aggregattoxizität ziehen lassen.
Ferner sollen zelluläre Wechselwirkungspartner der α-Synuclein-Aggregate in humanen Neuronen identifiziert werden. Diese Wechselwirkungspartner können für die Aggregatbildung erforderliche Komponenten sowie Proteine sein, die von α-Synuclein-Aggregaten sequestriert und an der Wahrnehmung ihrer physiologischen Funktion gehindert werden; in beiden Fällen könnte es sich um potentielle targets für eine künftige Arzneimittelentwicklung handeln. Zur Klärung dieser Fragen sollen entsprechende Ko-Immunpräzipitationen der an GFP-α-Synuclein-Aggregate gebundenen Proteine durchgeführt und die präzipitierten Proteine anschließend mittels vergleichender massenspektrometrischer Analysen identifiziert werden. Diese Arbeiten können dazu beitragen, neue Erkenntnisse über die an der Aggregatbildung beteiligten Komponenten zu gewinnen; zum anderen könnten molekulare Interaktionen von α-Synuclein-Aggregaten mit für die neuronale Funktion wesentlichen Proteinen identifiziert und damit Hinweise auf weitere molekulare Ursachen der Aggregattoxizität gewonnen werden.
Da PD auch mit Störungen im Abbau von Mitochondrien einhergeht, sollen aus hES-Zellen abgeleitete Neurone im zweiten Teil des Forschungsvorhabens auch zur Untersuchung von Aspekten einer veränderten mitochondrialen Autophagie (Mitophagie) verwendet werden. Dabei werden mit geeigneten Reportergenen versehene hES-Zellen zu Neuronen differenziert und diese mit Mitophagie auslösenden Substanzen behandelt. Die Prozesse, die bei der Autophagie der Mitochondrien ablaufen, beispielsweise die Fragmentierung der Mitochondrien infolge von deren substanzinduzierter Depolarisation und die anschließende Degradierung durch Autophagosomen, sollen dann unter Verwendung von Kryo-Elektronentomographie mit hoher Auflösung analysiert werden, wodurch die Prozesse des Abbaus der Mitochondrien auf ultrastruktureller Ebene vertieft untersucht und aller Voraussicht nach neue Erkenntnisse über die dem Mitochondrien-Abbau zugrundeliegenden zellulären Prozesse erlangt werden können. Ferner soll die Mitophagie in Neuronen untersucht werden, die mit erblich bedingten Formen von PD assoziierte Mutationen tragen. Hierfür sollen in hES-Zellen zunächst Mutationen in den mit dieser Erkrankung bekanntermaßen assoziierten Genen PINK1 (PARK6) und PARKIN (PARK2) erzeugt werden, deren Produkte eine zentrale Rolle beim Abbau geschädigter Mitochondrien in dopaminergen Neuronen spielen. Anschließend sollen die modifizierten hES-Zellen zu (dopaminergen) Neuronen differenziert und die Effekte der genetischen Veränderungen auf die Mitophagie unter Verwendung der Kryo-Elektronentomographie bestimmt werden. Dabei soll insbesondere geklärt werden, auf welche Weise mit PD assoziierte Mutationen die Mitophagie verändern bzw. hemmen und so den krankheitsspezifischen Phänotyp auslösen oder verstärken können, womit ggf. zur weiteren Aufklärung der molekularen Pathogenesemechanismen der Parkinsonschen Krankheit beigetragen werden kann.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten vorgeklärt ist.
Die Korrelation einer zunehmenden Präsenz von α-Synuclein im Gehirn und dem Fortschreiten der Symptome der Parkinsonschen Krankheit ist seit langem etabliert. Zahlreiche Studien an Zellkulturmodellen und Versuchstieren haben gezeigt, dass pathologische α-Synuclein-Aggregate sich von Zelle zu Zelle ausbreiten und zu neuronaler Dysfunktion und Zelldegeneration führen können. Für die Forschungsfragen des ersten Projektteils, die auf die Etablierung eines In-vitro-Modells für eine vertiefte Analyse der Struktur und Ausbreitung von α-Synuclein-Aggregaten zielen, besteht in der wissenschaftlichen Literatur eine umfangreiche Vorklärung. Das seeding von in vitro produzierten α-Synuclein-Fibrillen oder von α-Synuclein-Aggregaten, die post mortem aus dem Hirngewebe von Personen mit Synucleinopathien gewonnen wurden, wurde in diversen Zell- und in Tiermodellen zur Induktion der Bildung endogener α-Synuclein-Aggregate genutzt, die zahlreiche Ähnlichkeiten mit Levy-Körperchen aufweisen. Der Genehmigungsinhaber hat ebenfalls Forschungsarbeiten durchgeführt und publiziert, bei denen unter Verwendung eines etablierten seeding-Ansatzes α-Synuclein-Aggregate in primären Neuronen der Maus erzeugt und auf ultrastruktureller Ebene unter Verwendung von Kryo-Elektronentomographie mit hoher Auflösung umfassend charakterisiert wurden. Die Frage nach Unterschieden im Phänotyp von α-Synuclein-Aggregaten aus Patienten mit verschiedenen Synucleinopathien (PD vs. MSA) war ebenfalls bereits Gegenstand von publizierten Untersuchungen.
Zur Frage nach dem Zusammenhang zwischen einer gestörten Mitophagie und dem Auftreten neurodegenerativer Erkrankungen liegt ebenfalls bereits eine Vielzahl publizierter Studien vor. Ein fehlerhafter Abbau von Mitochondrien, der zu einer Akkumulation zellschädigender Produkte/Moleküle in Neuronen führt, ist auch an der Pathogenese von PD beteiligt. Eine ursächliche Rolle der gestörten Mitophagie auf die Entstehung der Krankheit ist vor allem bei dem auch hier interessierenden Vorliegen von Mutationen in den Genen für PINK1 und Parkin gut belegt. Die Produkte dieser Gene sind hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Funktionen in verschiedenen Zell- und Tiermodellen umfassend charakterisiert worden.
Die für die Durchführung des Forschungsvorhabens essentielle effiziente Differenzierung von hES-Zellen in neurale Zellen, einschließlich dopaminerger Neurone und Oligodendrozyten, ist bereits in der Vergangenheit etabliert und publiziert worden. Die spezifischen fluoreszenz- und elektronenmikroskopischen Verfahren zur Analyse der Ultrastruktur von α-Synuclein-Aggregaten und zur Abbildung der zellulären Prozesse der Mitophagie sind ebenfalls etabliert. Effiziente Verfahren zur genetischen Veränderung von hES-Zellen sind ebenfalls in der Literatur beschrieben.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Die beantragten Forschungsarbeiten zielen u. a. auf die Klärung der Frage, auf welche Weise α-Synuclein-Aggregate zur Entstehung von PD beim Menschen beitragen. Trotz hoher Homologien sind murines und humanes α-Synuclein nicht identisch und unterscheiden sich in ihren Aggregationseigenschaften. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Erkenntnisse aus tierischen Zellen, insbesondere aus dem gut untersuchten murinen System, sich ohne weiteres auf den Menschen übertragen lassen. Die Erreichung der Forschungsziele erfordert die Verwendung humaner Zellen.
Die Forschungsziele können nach derzeitigem Kenntnisstand auch nur unter Nutzung humaner pluripotenter Stammzellen erreicht werden. Primäre menschliche Neurone aus Biopsien und humane fötale neurale Stammzellen stehen nicht in für die Durchführung des Forschungsvorhabens ausreichender Menge, Qualität und Reproduzierbarkeit zur Verfügung. Dies trifft auch auf adulte neurale Stammzellen des Menschen zu, die zudem in vitro in nur geringen Mengen vermehrt werden können. Ferner sind die für die erfolgreiche Durchführung des Forschungsvorhabens erforderlichen teils komplexen genetischen Veränderungen in solchen Zellen nicht in gleichem Maße erfolgreich durchführbar wie in pluripotenten Stammzellen.
Nach derzeitigem Kenntnisstand lassen sich die Forschungsziele voraussichtlich auch nicht unter Verwendung humaner induzierter pluripotenter Stammzellen (hiPS-Zellen) erreichen. Zur Klärung der Forschungsfragen sind Zellen erforderlich, die einen möglichst ursprünglichen Charakter aufweisen, was hiPS-Zellen nicht in gleichem Maße erfüllen wie hES-Zellen. hiPS-Zellen haben gegebenenfalls Mutationen, die bereits in der somatischen Zelle, aus der sie abgeleitet wurden, vorhanden waren oder die im Prozess der Reprogrammierung erworben wurden, wodurch eindeutige Rückschlüsse auf die Ursachen für die erwarteten pathologischen Effekte nicht oder nicht zweifelsfrei möglich sind. Zudem weisen verschiedene hiPS-Zelllinien erhebliche Unterschiede in ihrem neuralen Differenzierungsvermögen auf. Da im geplanten Forschungsvorhaben auch Prozesse untersucht werden sollen, an denen Mitochondrien und Lysosomen maßgeblich beteiligt sind, hiPS-Zell-abgeleitete Neurone aber ggf. altersbedingte und/oder spenderspezifische Schädigungen von Mitochondrien und Lysosomen aufweisen, sind hiPS-Zellen für die Erreichung der Forschungsziele auch aus diesem Grund nicht geeignet.
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