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Themenblatt: Belastende Lebensereignisse in Kindheit und Jugend

Kernaussagen

  • Belastende Lebensereignisse in Kindheit und Jugend können die psychische Gesundheit bis ins Erwachsenenalter stark beeinträchtigen und auch die Entwicklung einer Adipositas wird damit in Verbindung gebracht.
  • Laut KiGGS-Kohorte (2014–2017) haben zwei Drittel der befragten jungen Erwachsenen in ihrer Kindheit und Jugend mindestens ein belastendes Lebensereignis erfahren.
  • Frauen sind häufiger von belastenden Lebensereignissen in der Kindheit und Jugend betroffen als Männer.

Hintergrund

Bei der Entstehung von zahlreichen psychischen Störungen im Lebensverlauf spielen traumatische Erfahrungen in der Kindheit eine wichtige Rolle [1]. Als belastende Lebensereignisse in der Kindheit und Jugend werden potentiell traumatische Ereignisse vor dem 18. Lebensjahr bezeichnet. Diese beinhalten Kindesmisshandlung und sexuellen Missbrauch, aber auch Drogenprobleme oder psychische Störungen in der Familie sowie Verlusterfahrungen [2]. Belastende Lebensereignisse können nicht nur massive Folgen für die psychische Gesundheit der Betroffenen haben, sondern sind auch mit körperlichen Folgen über die Lebensspanne hinweg assoziiert [2]. Auch die Entwicklung einer Adipositas wird mit dem Auftreten belastender Lebensereignisse in Kindheit und Jugend in Verbindung gebracht [3-5]. Als mögliche Ursache hierfür werden unterschiedliche Wirkmechanismen diskutiert, beispielsweise ein in Folge der traumatischen Erfahrung chronisch erhöhtes Cortisol-Level (siehe Themenblatt: Stressbelastung bei Kindern und Jugendlichen), das sich wiederum negativ auf das Schlafverhalten (siehe Themenblatt: Schlaf) auswirken und zu einer gesteigerten Präferenz für besonders energiedichte Lebensmittel führen kann [6, 7].

Indikatoren und Datenquelle

Indikator ist der Anteil der jungen Frauen und Männern (18 bis 31 Jahre), die aus ihrer Kindheit und Jugend retrospektiv belastende Lebensereignisse berichten (Indikator F.1.1). Datenquelle ist die KiGGS-Kohorte des Robert Koch-Instituts (RKI) [8]. In der ­KiGGS- Kohorte werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der KiGGS- Basiserhebung (2003–2006) regelmäßig hinsichtlich ihrer gesundheitlich­en Entwicklungen im Lebensverlauf und deren Einflussfaktoren untersucht und befragt. Die hier verwendeten Daten stammen von 3.704 jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 31 Jahren aus der zweiten Folgeerhebung der KiGGS-Kohorte (2014–2017), die im Kindes- und Jugendalter an der KiGGS-Basiserhebung teilgenommen haben [9]. Sie wurden unter anderem zu belastenden Lebenser­eignissen in ihrer Kindheit und Jugend in einem schriftlichen oder online auszufüllenden Fragebogen befragt. Angaben zu traumatischen Kindheits­erfahrungen erfolgten über die retrospektive Selbstauskunft der jungen Erwachsenen mittels der Kurzfassung des Childhood Trauma Questionnaire (CTQ) [10, 11], in dem mit jeweils fünf zu bewertenden Erfahrungen die Dimensionen körperliche Vernachlässigung, emotionale Vernachlässigung, körperlicher Missbrauch, emotionaler Missbrauch und sexueller Missbrauch abgefragt werden. Für jede mögliche Erfahrung wurde die erlebte Häufigkeit auf einer fünfstufigen Skala von „überhaupt nicht“ (0) bis „sehr oft“ (5) angegeben. Wurde durch die aufsummierten Werte pro Dimension ein bestimmter Grenzwert überschritten, erfolgte die Kategorisierung als traumatische Lebenserfahrung [12]. Zudem wurden einzelne Fragen aus dem Adverse Childhood Experiences International Questionnaire eingesetzt, bei denen die Frage nach verschiedene Erlebnissen in Kindheit und Jugend aus dem familiären Bereich (Alkohol- oder Drogenprobleme eines Elternteils, Depression oder Selbstmordversuch eines Elternteils, Gefängnisaufenthalt eines Elternteils, Scheidung der Eltern, Tod eines Elternteils) [13] und eine Frage zu Kriegs- oder Terrorismuserfahrungen [9] mit den Antwortmöglichkeiten „ja“ und „nein“ beantwortet wurden.

Ergebnisse

Von den bei der zweiten Folgebefragung erwachsenen Teilnehmenden der KiGGS-Kohorte (2014–2017) berichten zwei Drittel (66 %) in ihrer Kindheit und Jugend mindestens ein belastendes Lebensereignis (Indikator F.1.1). Frauen sind häufiger von belastenden Lebensereignissen in der Kindheit und Jugend betroffen als Männer und berichten häufiger gleichzeitig mehrere traumatische Lebens­erfahrungen [9]. Jede bzw. jeder Fünfte der Befragten berichtet von körperlicher Vernachlässigung, jede bzw. jeder Vierte von emotionaler Vernachlässigung. 6 % der Befragten geben an, als Heranwachsende körperlichen Missbrauch erfahren zu haben. 21 % der Frauen und 14 % der Männer berichten von emotionalem Missbrauch. 8 % der Frauen und 2 % der Männer geben an, in ihrer Kindheit sexuellen Missbrauch erfahren zu haben. Während Alkohol oder Drogenprobleme eines Elternteils (14 %) Depression oder Selbstmordversuch eines Elternteils (14 %), oder die Scheidung der Eltern (18 %) relativ häufig berichtet werden, geben deutlich weniger der jungen Erwachsenen an, in ihrer Kindheit einen Gefängnisaufenthalt eines Elternteils (3 %), den Tod eines Elternteils (4 %) beziehungsweise belastende Erfahrungen im Zusammenhang mit Krieg oder Ähnlichem (1 %) erlebt zu haben. Weiterführende Auswertungen zeigen, dass rund ein Drittel der Befragten mehr als ein und 10 % der Befragten mehr als drei belastende Lebensereignisse in der Kindheit und Jugend berichteten [9].

Informationsgrafik: Anteil der jungen Frauen und Männern (18 bis 31 Jahre), die in ihrer Kindheit und Jugend mindestens ein belastendes Lebensereignis erfahren haben (in Prozent). Quelle: © RKI

Einordnung der Ergebnisse

Nach den Ergebnissen der KiGGS-Kohorte haben in etwa zwei Drittel der jungen Erwachsenen in ihrer Kindheit und Jugend belastende Lebensereignisse erfahren. Frauen berichten durchschnittlich häufiger traumatische Lebenserfahrungen als Männer, wobei auch geschlechtsbedingte Unterschiede in der Bewertung und Auskunftsbereitschaft eine Rolle spielen könnten. Ähnlich zu anderen Studienergebnissen, werden in der KiGGS-Kohorte emotionale und körperliche Vernachlässigung sowie emotionaler Missbrauch am häufigsten berichtet, während körperlicher und sexueller Missbrauch seltener berichtet werden [14]. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss weiterhin berücksichtigt werden, dass es sich nicht um eine repräsentative Datengrundlage sondern um eine längsschnittliche Folgebefragung einer zum Zeitpunkt der ersten Erhebung repräsentativen Stichprobe handelt. Da die Wahrscheinlichkeit zur Wiederteil­nahme an einer der Folgebefragungen nicht zufällig verteilt ist, sondern sich hinsichtlich bestimmter Merkmale wie beispielweise des Geschlechts oder auch bestimmter Gesundheitsmerkmale der Befragten unterscheidet, wurden die hier berichteten Ergebnisse mit Hilfe eines Gewichtungsfaktors korrigiert, der Gruppen mit einer niedrigeren Wiederteilnahmewahrscheinlichkeit stärker gewichtet und damit Selektionseffekte der betrachteten und aus der KiGGS-Basiserhebung bekannten Merkmale nahezu ausgleichen kann [9, 15]. Zudem handelt es sich um retrospektive Selbstangaben, die durch eine fehlerhafte Erinnerung (Erinnerungsbias) oder sozialer Erwünschtheit (d. h. einem Antwortverhalten, bei dem die Befragten eher die Antwort geben, von der sie glauben, dass sie auf Zustimmung trifft [16]) verzerrt sein können. Belastende Lebensereignisse und damit verbundene Traumata bei Heranwachsenden stellen in Deutschland und weltweit ein gravierendes Gesundheitsproblem dar, das den Ausbau von präventiven Maßnahmen auf der individuellen, familiären, Setting-bezogenen und gesellschaftlichen Ebene erfordert [17]. So können beispielsweise die Kinderrechte im nationalen Recht gestärkt oder an Schulen Konzepte zum Schutz vor sexueller Gewalt entwickelt werden. Da belastende Erfahrungen in der Kindheit auch körperliche Folgen wie Adipositas zeigen können, sind Fortschritte in der Diagnose, Therapie und vor allem der Prävention von belastenden Lebensereignissen wie Missbrauch und Misshandlung bei Heranwachsenden auch für die Prävention von Adipositas im Kindes- und Jugendalter von Bedeutung.

Literatur

  1. Gilbert R, Widom CS, Browne K et al. (2009) Burden and consequences of child maltreatment in high-income countries. The Lancet 373(9657):68-81
  2. Anda RF, Butchart A, Felitti VJ et al. (2010) Building a framework for global surveillance of the public health implications of adverse childhood experiences. American Journal of Preventive Medicine 39(1):93-98
  3. Danese A, Tan M (2014) Childhood maltreatment and obesity: systematic review and meta-analysis. Molecular Psychiatry 19(5):544-554
  4. Midei AJ, Matthews KA (2011) Interpersonal violence in childhood as a risk factor for obesity: a systematic review of the literature and proposed pathways. Obesity Reviews 12(501):e159-e172
  5. Paras ML, Murad MH, Chen LP et al. (2009) Sexual abuse and lifetime diagnosis of somatic disorders: a systematic review and meta-analysis. JAMA: The Journal of the American Medical Association 302(5):550-561
  6. Wilson SM, Sato AF (2014) Stress and paediatric obesity: what we know and where to go. Stress and Health 30(2):91-102
  7. Jung F, Weinberger N-A, Bernard M et al. (2017) Chronischer Stress und seine Bedeutung für Adipositas. Adipositas: Ursachen, Folgeerkrankungen, Therapie 11(04):198-202
  8. Mauz E, Lange M, Houben R et al. (2019) Cohort profile: KiGGS cohort longitudinal study on the health of children, adolescents and young adults in Germany. International Journal of Epidemiology 49(2):375-375k
  9. Cohrdes C, Mauz E (2020) Self-efficacy and emotional stability buffer negative effects of adverse childhood experiences on young adult health-related quality of life. Journal of Adolescent Health 67(1):93-100
  10. Bernstein DP, Stein JA, Newcomb MD et al. (2003) Development and validation of a brief screening version of the Childhood Trauma Questionnaire. Child Abuse & Neglect 27(2):169-190
  11. Wingenfeld K, Spitzer C, Mensebach C et al. (2010) Die deutsche Version des Childhood Trauma Questionnaire (CTQ): Erste Befunde zu den psychometrischen Kennwerten. Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie 60(11):442-450
  12. Glaesmer H, Schulz A, Häuser W et al. (2013) Der Childhood Trauma Screener (CTS) – Entwicklung und Validierung von Schwellenwerten zur Klassifikation. Psychiatrische Praxis 40(04):220-226
  13. World Health Organization (WHO) (2014) Adverse Childhood Experiences International Questionnaire (ACE-IQ). WHO, Geneva. www.who.int/violence_injury_prevention/violence/activities/adverse_childhood_experiences/questionnaire.pdf?ua=1 (Stand: 29.06.2020)
  14. Witt A, Brown RC, Plener PL et al. (2017) Child maltreatment in Germany: prevalence rates in the general population. Child and Adolescent Psychiatry and Mental Health 11:47-47
  15. Lange M, Hoffmann R, Mauz E et al. (2018) KiGGS Wave 2 longitudinal component – data collection design and developments in the numbers of participants in the KiGGS cohort. Journal of Health Monitoring 3(1):92-107
  16. Diekmann A (2009) Empirische Sozialforschung: Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Rowohlt Verlag, Hamburg
  17. World Health Organisation (WHO), International Society for Prevention of Child Abuse and Neglect (2006) Preventing child maltreatment: a guide to taking action and generating evidence. www.who.int/violence_injury_prevention/publications/violence/child_maltreatment/en (Stand: 06.08.2020)

Stand: 02.10.2020

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