1961 bis 1970: Von der persönlichen Freundschaft zwischen Shibasaburo Kitasato und Robert Koch zur Partnerschaft der Institute in Berlin und Tokio
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Die Steine stammen von dem Weg, der heute zum Koch-Schrein im Kitasato-Institut führt.
Quelle: RKI
Im Jahr 1908 reist Robert Koch mit seiner Frau Hedwig durch Japan. Der Berliner Bakteriologe ist ein Star: Wenn er in seiner blumengeschmückten Kutsche durch die Straßen fährt, jubeln ihm die Massen zu. Alle wollen ihn sehen. Koch hält Vorträge, ein Empfang reiht sich an den nächsten. Zweieinhalb Monate wird sein Aufenthalt in Japan dauern – und natürlich muss er in dieser Zeit auch mal zum Friseur. „Shibasaburo Kitasato hat dann das, was da runterfiel, einfach eingesammelt“, sagt Beate Wonde. „Er wollte etwas Echtes von ihm.“ Später, nach Kochs Tod, wird Kitasato im Institut für Infektionskrankheiten in Tokio einen Schrein für ihn errichten. Darin, sicher in einem Gefäß verwahrt: die abgeschnittenen Haare Robert Kochs.
Die Geschichte von Shibasaburo Kitasato und Robert Koch ist die einer Freundschaft. Zwischen zwei Spitzenforschern, die einmal Schüler und Lehrer waren. Und zwischen zwei Instituten, die ihren Namen tragen. Eine Freundschaft, die während der beiden Weltkriege zum Erliegen kam, in den 1960er Jahren wiederbelebt wurde und bis heute anhält. Beate Wonde ist Japanologin; sie kuratiert die Gedenkstätte der Berliner Humboldt-Universität für Mori Ogai, einem Arzt, Dichter und Weggefährten Kitasatos in Berlin. Als besonderes Stück für den achten Salon zur Institutsgeschichte hat sie einen japanischen Korbkasten mit drei glatten, schwarz glänzenden Steinen mitgebracht. „Sie stammen von dem Weg, der heute zum Koch-Schrein im Kitasato-Institut führt“, sagt sie.
Medizinersprache in Japan damals: Deutsch
Deutschland und Japan teilen ein Stück Medizingeschichte. Im frühen 19. Jahrhundert muss sich das damals lange abgeschottete Japan innerhalb kürzester Zeit in einen modernen Staat verwandeln – andernfalls droht die Kolonialisierung durch westliche Mächte. Japan schickt also seine Jugend in die Welt, um an renommierten Universitäten zu lernen oder sich beruflich weiterzuentwickeln. Viele landen in Berlin. Von 1870 bis 1914 studieren offiziell 747 junge Japaner an der heutigen Humboldt-Universität, wahrscheinlich sind es weitaus mehr. Spätere Premierminister sind darunter, Politiker, Begründer von Forschungseinrichtungen und führende Vertreter medizinischer Disziplinen. „Man kann wirklich sagen: Die ‚Berliner Universität‘ war die Alma Mater der Elite Japans“, sagt Beate Wonde. Die Medizinersprache in Japan ist damals Deutsch.
Die Geschichte von Shibasaburo Kitasato und Robert Koch ist die einer Freundschaft. Zwischen zwei Spitzenforschern, die einmal Schüler und Lehrer waren.
1885 fängt ein japanischer Arzt im Berliner Hygiene-Institut an. Shibasaburo Kitasato ist Anfang 30 und hat sein berufliches Ziel schon zu Studienzeiten in Tokio definiert: Er will Epidemien verhindern und die öffentliche Hygiene ausbauen. In Berlin forscht Kitasato jetzt unter Anleitung des weltberühmten Bakteriologen Robert Koch, vertieft sich in Arbeiten zu Diphtherie und Tetanus. Doch nach drei Jahren soll er, wie für japanische Auslandsstudenten üblich, wieder zurück in die Heimat. Kitasato ist außer sich. Schließlich gelingt es ihm seinen Berlin-Aufenthalt zu verlängern – mit Hilfe von Mori Ogai, einem Militärarzt, der ebenfalls am Hygiene-Institut experimentiert und von Koch damit beauftragt ist, die Bakterien im Wasser der Spree zu analysieren. „Ohne Mori Ogais Einsatz hätte es Kitasatos bahnbrechende Erkenntnisse womöglich gar nicht gegeben“, sagt Wonde.
Kitasatos wissenschaftlicher Durchbruch in Berlin
In den folgenden Jahren feiert Shibasaburo Kitasato in Berlin seine ersten großen wissenschaftlichen Erfolge. 1889 gelingt es ihm, den Tetanus-Erreger Clostridium tetaniin einer Reinkultur anzuzüchten. Ein Jahr später zeigt er gemeinsam mit Emil von Behring, dass Antitoxine gegen Tetanus und Diphtherie wirksam sind – die beiden gelten als Begründer der lebensrettenden Serumtherapie. Kitasato wird sogar auf Fürsprache von Koch zum Professor ernannt, vermutlich als erster Ausländer in Deutschland überhaupt.
Der Bakteriologe bekommt damals Angebote von Forschungsinstituten aus aller Welt. Doch er kehrt nach Japan zurück. „Er wollte seinem Land, das ihm das Studium und den Aufenthalt in Berlin ermöglicht hat, etwas zurückgeben“, sagt Beate Wonde. 1892 gründet Kitasato das Institut für Infektionskrankheiten in Tokio. Nicht nur der Name spiegelt Kochs Königlich Preußisches Institut für Infektionskrankheiten wider – auch das Gebäude selbst. 1893 gründet Kitasato das erste Krankenhaus für Tuberkulose in Japan. 1894 fahndet er zeitgleich mit Alexandre Yersin nach dem Auslöser der großen Pestepidemie in Hongkong; die Entdeckung des Pesterregers wird heute aber dem Schweizer zugeschrieben. Mit Robert Koch steht Kitasato all die Jahre weiterhin in Kontakt. Und wartet darauf, dass ihn sein alter Lehrer endlich besuchen kommt.
Buddha der Heilkunde: Robert Koch in Japan
Kitasato wartet lange. Erst 1908 macht sich Koch auf den Weg nach Japan – es ist eine Etappe auf einer für ein Jahr geplanten Weltreise, die er mit seiner Frau unternimmt. Hedwig Koch, die Künstlerin und Schauspielerin, ist ergriffen vom Japonismus in der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts. Sie muss Land und Leute unbedingt kennenlernen. Ihr Mann dagegen will nur ein paar Tage bei Kitasato bleiben und sich danach in die japanischen Berge zurückziehen. Doch Kitasato, Mori Ogai und ein eigens für Koch gegründetes Empfangskomitee haben andere Pläne.
„ Aus der Welt im Kleinen Schoepfst du deine Groesse Und erobertest den Erdkreis, Der dankerfuellt dir den Unverwelklichen Kranz Der Unsterblichkeit reicht.“
Schon bei ihrer Ankunft im Hafen von Yokohama wird das Paar vom Jubel tausender Menschen empfangen. „Robert Koch wurde in Japan als Buddha der Heilkunde verehrt, als derjenige, der die Welt von Tuberkulose und Cholera befreit. Das Volk war dankbar. Und alle wussten: Die großen Ärzte hatten bei ihm studiert“, sagt Beate Wonde. Die japanischen Kollegen – allen voran Mori Ogai – dichten sogar für ihn:
Zweieinhalb Monate eilen die Kochs von einem Event zum nächsten. Das Paar besucht auch das berühmte Kabuki-Theater, das ihnen zu Ehren eine Sondervorstellung gibt. „Für Hedwig Koch war Japan die beste Zeit, die sie je mit ihrem Mann erlebte“, sagt Beate Wonde. Für Robert Koch ist die Reise aber auch sehr anstrengend. Auf dem Weg nach Westjapan erleidet er einen Herzanfall.
„ Für Hedwig Koch war Japan die beste Zeit, die sie je mit ihrem Mann erlebte“, sagt Beate Wonde. Für Robert Koch ist die Reise aber auch sehr anstrengend. Auf dem Weg nach Westjapan erleidet er einen Herzanfall.
Zwei Jahre nach der Japanreise stirbt Robert Koch. 1914 verlässt Shibasaburo Kitasato das Tokioter Institut für Infektionskrankheiten aus Protest darüber, dass es der Tokio-Universität angeschlossen werden soll, und gründet das Kitasato-Institut. Den Schrein von Robert Koch nimmt er mit. Nach Kitasatos Tod 1931 bauen sie ihm einen Schrein direkt daneben.
Neuanfang in den 1960er Jahren
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Freundschaft zwischen dem Kitasato-Institut und dem RKI langsam wieder reaktiviert: 1964 reist der damalige Institutsleiter Georg Henneberg zum 50. Geburtstag des Kitasato-Instituts nach Japan, berichtet Beate Wonde. Zwei Jahre später spricht der damalige Präsident des Kitasato-Instituts Toju Hata auf der 75-Jahr-Feier des Robert Koch-Instituts in Berlin. Doch erst 1989 findet das erste gemeinsame Symposium beider Institute statt. Seitdem treffen sich die Wissenschaftler alle zwei Jahre, abwechselnd in Tokio und Berlin.
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