Genetische Reihenuntersuchung zur Früherkennung der Tyrosinämie Typ I mittels Tandem-Massenspektrometrie im Rahmen des Erweiterten Neugeborenen-Screenings
Stellungnahme der GEKO gemäß § 16 Abs. 2 GenDG
Die Gendiagnostik-Kommission (GEKO) hat die vom Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) abgestimmten Unterlagen vom 19.10.2017 zum „Screening von Neugeborenen zur Früherkennung der Tyrosinämie Typ I mittels Tandem-Massenspektrometrie“ gemäß § 16 Abs. 2 Gendiagnostikgesetz (GenDG) geprüft und bewertet.
Nach § 16 Abs. 1 GenDG darf eine genetische Reihenuntersuchung nur vorgenommen werden, wenn sie auf eine Erkrankung oder gesundheitliche Störung zielt, „die nach dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft und Technik vermeidbar oder behandelbar ist oder der vorgebeugt werden kann“. Bei der Tyrosinämie Typ I handelt es sich um eine schwerwiegende erbliche Stoffwechselerkrankung, die medikamentös mit begleitender Diät behandelbar ist.
Jährlich werden in Deutschland etwa 5-7 Kinder mit Tyrosinämie Typ I geboren. Eine frühzeitige Diagnose und einsetzende Behandlung vermeidet schwere Organschäden der Leber und der Nieren und andere erhebliche gesundheitliche Schäden bis hin zum frühen Tod bei den betroffenen Kindern. Dagegen haben unerkannte und nicht behandelte Säuglinge eine geringe Überlebenswahrscheinlichkeit des ersten Lebensjahres. Auch bei Säuglingen, die erst nach Auftreten erster Symptome therapiert werden (meist nach dem ersten Lebensmonat), kommt es in Folge zu einer wesentlich höheren Morbidität und Mortalität.
Mit der genetischen Reihenuntersuchung auf Tyrosinämie Typ I bei Neugeborenen soll eine Vorverlegung des Diagnosezeitpunkts erreicht werden. Fallstudien zeigen, dass durch frühe Interventionen die Lebensqualität und Lebenserwartung der Kinder mit Tyrosinämie Typ I deutlich erhöht werden können. Die Fallstudien werden hier angesichts der extremen Seltenheit des Krankheitsbildes und des starken positiven Effektes des frühen Therapiebeginns als ausreichend erachtet.
Eine genetische Reihenuntersuchung auf Tyrosinämie Typ I nach dem der GEKO vorliegenden Konzept vom 19.10.2017 wird von der GEKO daher befürwortet.
Die von der GEKO nach § 16 Abs. 2 GenDG durch Prüfung und Bewertung zu beantwortende Frage, ob „das Anwendungskonzept für die Durchführung der Untersuchung dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft und Technik entspricht und die Untersuchung in diesem Sinne ethisch vertretbar ist“, ist zu bejahen. Der Hinweis auf eine Tyrosinämie Typ I ergibt sich aus einer erhöhten Succinylaceton-Konzentration im Blut. Es ist davon auszugehen, dass durch die geeignete Wahl des Cut-offs für das Succinylaceton falsch-positive Ergebnisse nahezu völlig ausgeschlossen werden können, d.h. dass eine unnötige Beunruhigung von Eltern vermieden werden kann. Der Nutzen des Screenings überwiegt daher eindeutig gegenüber potentiellen Schäden.
Die GEKO begrüßt die vorgeschlagene Einbindung des Tyrosinämie Typ I – Screenings in das Erweiterte Neugeborenen-Screening, ein bereits seit vielen Jahren praktiziertes Verfahren. Die genetische Reihenuntersuchung auf Tyrosinämie Typ I entspricht den Screening-Kriterien der WHO und im Wesentlichen den in der Richtlinie der GEKO zu genetischen Reihenuntersuchungen gestellten Anforderungen.
Eine kontinuierlich erfolgende Evaluierung des Tyrosinämie Typ I – Screenings über einen Zeitraum von jeweils 5 Jahren wird empfohlen.
Eine Überprüfung des jeweils verwendeten Cut-offs im Sinne der von der GEKO in ihrer Richtlinie geforderten „kontinuierlichen Evaluation der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität“ ist aus Sicht der GEKO notwendig, um als qualitätssichernde Maßnahme eine Optimierung der Aussagekraft der Testung zu gewährleisten. Insbesondere erfordert dies die Rückmeldung des Ergebnisses der Konfirmationsdiagnostik durch die Stoffwechselzentren an die Screeninglabore.
Beim Tyrosinämie Typ I – Screening handelt es sich um eine genetische Reihenuntersuchung, die einer ärztlichen Aufklärung bedarf. Daher sollten in der Elterninformation Kontaktdaten enthalten sein, um während des gesamten Prozesses eine angemessene Informations- und Rückfragemöglichkeit bei einer dafür qualifizierten ärztlichen Person und die Möglichkeit des Widerruf der Einwilligung zu gewährleisten. Das ist besonders wichtig bei einem auffälligen Untersuchungsergebnis, das nach unabhängigen Kontrollen des auffälligen Erstergebnisses fortbesteht.
Gendiagnostik-Kommission beim Robert Koch-Institut
24.11.2017
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