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Stellungnahme zur Hygienehypothese, 01.02.2014

Beschluss Nr. 2/2014 gemäß §6 der Geschäftsordnung der Kommission

Berichterstatter: AG Allergie

Beschluss: Die Kommission stimmt der unten aufgeführten Stellungnahme der AG Allergie zu.

Die Hygienehypothese ist der Versuch, den dramatischen Anstieg in der Häufigkeit von Heuschnupfen und Asthma während der letzten 5 Jahrzehnte in den industrialisierten Ländern (Asher et al. 1995) zu erklären. Sie basiert auf einem einfachen epidemiologischen Befund, bei dem die Häufigkeit von Heuschnupfen abnahm mit zunehmender Anzahl von Familienmitgliedern (Strachan 1989), der später vielfach repliziert wurde.
Etwa 10 Jahre später konnte zusätzlich gezeigt werden, dass frühzeitige Kontakte mit vielen Kindern einer Kinderkrippe invers mit dem Auftreten von Heuschnupfen im späteren Leben assoziiert waren (Krämer et al. 1999, Ball et al. 2000).
Schließlich haben eine überwiegende Anzahl epidemiologischer Studien nach der Erstbeschreibung von Braun-Fahrländer und Kollegen (Braun-Fahrländer et al. 2003) das Aufwachsen auf einem Bauernhof als einen protektiven Faktor gegen die Entwicklung von Heuschnupfen und Asthma bestätigt.
Ein weiterer interessanter epidemiologischer Befund, der im Kontext mit der Hygienehypothese diskutiert wird, bezieht sich auf die Haltung von Haustieren, und dabei speziell von Hunden. Zahlreiche Studien haben zwar einen protektiven Effekt der Hundehaltung in der frühen Kindheit im Hinblick auf das Auftreten von Heuschnupfen und Asthma zeigen können, insgesamt bleibt aber die Heterogenität der Ergebnisse zwischen den Studien so stark bestehen, dass Metaanalysen einen protektiven Effekt über alle publizierten Studien nicht belegen konnten (Chen et al. 2010).
Die Ergebnisse dieser vier unterschiedlichen epidemiologischen Befundebenen wurden interpretiert als eine Folge einer höheren Exposition mit Keimen, Parasiten sowie mit mikrobiellen Komponenten in der frühen Kindheit (Heinrich et al. 2002, Douwes et al. 2006, Gehring et al. 2002, Braun-Fahrländer et al. 2002). Im Zusammenhang mit dem Anstieg von Heuschnupfen und Asthma während der letzten Jahrzehnte werden der Rückgang der Familiengröße, der Rückgang
des parasitären Befalls sowie die strukturellen Veränderung der landwirtschaftlichen Betriebe bzw. die Senkung des Anteils der Beschäftigten in der Landwirtschaft und die damit im Zusammenhang stehende Reduktion der Exposition mit mikrobiellen Komponenten und infektiösen Keimen diskutiert. Das diesbezügliche immunologische Modell dieses Konzeptes stellt die ausbleibende Verschiebung von TH2-lmmunantworten zugunsten von TH1-Antworten dar.

Es gibt derzeit kein besseres Konzept als das der Hygienehypothese, um den Anstieg der Prävalenz von Heuschnupfen und Asthma zu erklären. Viele Indizien sprechen dafür, allerdings wird die Evidenz seitens der Arbeitsgruppe Allergie der Kommission Umweltmedizin am Robert KochInstitut als nicht ausreichend erachtet. Gegen die Ausschließlichkeit des Hygienehypothesenkonzeptes sprechen eine Reihe weiterer Überlegungen:
Die Faktoren, die die Hygienehypothese begründen, sind allesamt eingebunden in ein Lebensstilkonzept und sind Teil dessen, was in der Literatur als "westlicher Lebensstil" beschrieben wurde (Wichmann 1996). Das verdeutlicht, dass eine Reihe weiterer lebensstilabhängiger Faktoren in dem Hygienehypothesenkonzept nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt werden. Zu diesen Faktoren gehört die deutliche Veränderung der Ernährung in Richtung mehr Fertigprodukte, mehr industrialisiert hergestellte Nahrungsmittel, eine Verschiebung des Verzehrs bestimmter Fette, Veränderung in den Wohnverhältnissen mit besser isolierten Innenräumen und demzufolge einer reduzierten Luftaustauschrate und den Konsequenzen eines vermehrten Schimmelbefalls und einer Anreicherung von Schadstoffen, Verringerung der im Alltag integrierten körperlichen Aktivität, veränderte Reisegewohnheiten und den damit im Zusammenhang stehenden Expositionen gegenüber neuen Allergenen, Veränderung der Zusammensetzung von Außenluftschadstoffen und vieles andere mehr. Schließlich kann auf der Basis der Hygienehypothese die Abnahme der Prävalenz von Heuschnupfen und Asthma in einigen Ländern nicht erklärt werden, weil es für diese Länder keinerlei Anzeichen gibt, dass sich die "hygienischen" Verhältnisse als protektiver Faktor verschlechtert hätten.

Des Weiteren ist zu dem Bauernhofeffekt anzumerken, dass epidemiologische Studien zum umweltmedizinischen Risiko von Bioaerosolen aus der lntensivtierhaltung in Deutschland bei Kindern atopischer Eltern eine leicht erhöhte Prävalenz von asthmatischen Symptomen und Asthma-Medikation in der Nachbarschaft von Tierställen aufgezeigt haben (Hoopmann et al. 2006).
Zum protektiven Kinderkrippeneffekt ist zu ergänzen, dass diese Assoziationen erstens beschränkt sind auf Kinder, die vor dem ersten Lebensjahr in einer Kinderkrippe mit Kontakten zu vielen Kindern betreut werden und zweitens auf Kinder, die als Einzelkinder aufwachsen. Aktuell fehlen gesicherte Erkenntnisse, ob der Allergie-protektive Effekt einer in der Landwirtschaft verbrachten Kindheit auch im Erwachsenalter noch anhält.
Und schließlich ist kritisch anzumerken, dass aus der zeitlichen Parallelität der Abnahme allergieprotektiver Expositionen bzw. Lebensumstände und der Zunahme der Häufigkeit von Allergien keine kausale Beziehung abgeleitet werden sollte.

Trotz dieser Einschränkungen ist die Hygienehypothese derzeit das überzeugendste Modell zur Erklärung der Asthma- und Heuschnupfen-Epidemie. Das sollte uns allerdings nicht den Blick verstellen, nach neuen ätiologischen Konzepten zu suchen.

Literatur:

Asher MI, Keil U, Anderson HR, Beasley R, Crane J, Martinez F et al. International Study of Asthma and Allergies in Childhood (ISAAC): rationale and methods. Eur Respir J 1995;8:483-491.

Ball TM, Castro-Rodriguez JA, Griffith KA, Holberg CJ, Martinez FD, Wright AL. Siblings, day-care attendance, and the risk of asthma and wheezing during childhood. N Engl J Med 2000;343:538- 543.

Braun-Fahrländer C, Lauener R: Farming and protective agents against allergy and asthma. Clin Exp Allergy 2003;33Ao9-411.

Braun-Fahrländer C, Riedler J, Herz U, Eder W, Waser M, Grize L, Maisch S, Carr D, Gerlach F, Bufe A, Lauener RP, Schierl R, Renz H, Nowak D, von Mutius E; Allergy and Endotoxin Study Team. Environmental exposure to endotoxin and its relation to asthma in school-age children. N Engl J Med. 2002 Sep 19;347(12):869-77.

Chen CM, Tischer C, Schnappinger M, Heinrich J. The role of cats and dogs in asthma and allergy-­a systematic review. 2010 Jan;213(1):1-31. doi: 10.1016/j.ijheh.2009.12.003. Epub 2010 Jan 6.

Douwes J, van Strien R, Doekes G, Smit J, Kerkhof M, Gerritsen J, Postma D, de Jongste J, Travier N, Brunekreef B. Does early indoor microbial exposure reduce the risk of asthma? The Prevention and lncidence of Asthma and Mite Allergy birth cohort study. J Allergy Clin lmmunol. 2006 May;117 (5) :1067-73.

Gehring U, BischofW, Fahlbusch B, Wichmann HE, Heinrich J. House dust endotoxin and allergic sensitization in children. Am J Respir Crit Care Med. 2002 Oct 1;166(7):939-44.

Heinrich J, Bolte G, Holscher B, Douwes J, Lehmann I, Fahlbusch B, Bischof W, Weiss M, Borte M, Wichmann HE. Allergens and endotoxin on mothers' mattresses and total immunoglobulin E in cord blood of neonates. Eur Respir J 2002;20:617-623.

Hoopmann M, Hehl 0, Neisel F, Werfel T. Associations between bioaerosols coming from livestock facilities and asthmatic symptoms in children. Gesundheitswesen 2006;68(8-9):575-84.

Krämer U, Heinrich J, Wjst M, Wichmann HE. Age of entry to day nursery and allergy in later childhood. Lancet 1999;Feb 6;353(9151):450-454.

Strachan DP. Hay fever, hygiene, and household size. BMJ 1989;299:1259-1260.

Wichmann HE. Possible explanation for the different trends of asthma and allergy in East and West Germany. Clin Exp Allergy 1996;26:621-623.

Kommission Umweltmedizin am Robert Koch-Institut
AG Allergie
Januar 2014

Stand: 01.02.2014

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