DRUCK-Studie − Drogen und chronische Infektionskrankheiten
Infektions- und Verhaltenssurvey bei injizierenden Drogengebrauchenden (IVD) in Deutschland
Stand: 20.05.2020
Projektleitung: Dr. Ruth Zimmermann (FG 34)
Projektkoordination: Stine Nielsen, Benjamin Wenz, Martyna Gassowski
Beteiligte Labore:
- Pilotierung 2011: Nationales Referenzzentrum für Hepatitis-C-Viren, Institut für Virologie des Universitätsklinikums Essen
- Hauptstudie 2012-15: FG 15 (RKI) Virale Gastroenteritis- und Hepatitiserreger und Enteroviren und FG 18 (RKI) HIV und andere Retroviren
Förderung: Robert Koch-Institut (Pilotierung 2011); Bundesministerium für Gesundheit (4‘2012 – 1‘2016)
Laufzeit: 01.04.2012 bis 31.01.2016
Ziel
Ziel des Projektes war es zum einen, die Verbreitung von Hepatitis B (HBV), Hepatitis C (HCV) und HIV sowie Ko-Infektionen bei intravenös Drogen gebrauchenden Menschen (IVD) in Deutschland festzustellen. Zum anderen sollten Einflussfaktoren für HBV, HCV und HIV bei IVD in Deutschland bestimmt sowie mögliche Wissenslücken bei IVD in Bezug auf die Übertragung und Prävention dieser Infektionen festgestellt werden. Durch die Untersuchung auf Antikörper gegen das Humane-T-Lymphozyten-Virus (HTLV) sollen erste Anhaltspunkte für die HTLV-Prävalenz bei dieser Gruppe gegeben werden. Die Analyse des Risiko- und Präventionsverhaltens dient der Aktualisierung und Fokussierung von Präventionsempfehlungen.
Zusammenfassung
Bei IVD sind Infektionen mit HBV, HCV und HIV deutlich stärker als in der Allgemeinbevölkerung verbreitet. Aufgrund des teilweise gemeinsamen Gebrauchs von Injektionsutensilien sind IVD durch blutübertragene Infektionen stark gefährdet. Zusätzlich kann riskantes Verhalten wie zum Beispiel ungeschützte Sexualkontakte das Risiko für den Erwerb von Infektionen erhöhen. Das Humane-T-Lymphozyten-Virus (HTLV) ist wie HIV ein humanpathogenes Retrovirus, das ähnlich wie HIV über Blut, Geschlechtsverkehr, Muttermilch sowie intrauterin übertragen wird. Studien aus verschiedenen europäischen Ländern zeigen eine erhöhte Prävalenz bei IVD. In Deutschland liegen zur HTLV-Prävalenz in dieser Gruppe keine repräsentativen Daten vor.
Die DRUCK-Studie wurde vom RKI in Kooperation mit Einrichtungen der Drogenhilfe von 2011 bis 2015 durchgeführt. Es handelt sich um einen Sero- und Verhaltenssurvey, mit dem Informationen zu Infektionsrisiken und Verhaltensweisen anhand eines fragebogengestützten Interviews gewonnen wurden (Beispielfragebogen siehe unten). Anhand von Blutproben wurden zudem serologische und molekularbiologische Marker für HBV, HCV, HIV und HTLV bestimmt. Die Studie wurde im Jahr 2011 in Berlin und Essen pilotiert und von 2012 bis 2015 in sechs weiteren Städten (Leipzig, Frankfurt am Main, Köln, Hannover, München, Hamburg) durchgeführt.
Die Datenerhebung erfolgte in allen acht Städten jeweils in lokalen Einrichtungen der Drogenhilfe, zum Teil in Kooperation mit lokalen AIDS-Hilfen und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). An der Studie konnten Personen, die in den letzten 12 Monaten Drogen injiziert hatten, mindestens 16 Jahre alt waren und in der jeweiligen Studienstadt konsumierten, teilnehmen.
Zur Rekrutierung der Studienteilnehmenden wurde ein modifiziertes Schneeballverfahren ("Respondent Driven Sampling") angewendet. Dabei rekrutieren Personen, die bereits an der Studie teilgenommen haben, weitere Teilnehmende aus ihrem sozialen Netzwerk. So konnten auch IVD für die Studie gewonnen werden, die bisher keine Angebote der niedrigschwelligen Drogenhilfe in Anspruch genommen hatten.
Die Ergebnisse der DRUCK-Studie zeigen deutliche Unterschiede zwischen den acht Studienstädten; sowohl in der Alters- und Sozialstruktur, den primär konsumierten Substanzen als auch in der Prävalenz der getesteten Infektionen.
Aus allen acht Städten wurden 2.077 intravenös Drogengebrauchende (23% Frauen und 77% Männer) in die Studie eingeschlossen. Das mediane Alter der Teilnehmenden bewegte sich in den einzelnen Studienstädten zwischen 29 und 41 Jahren. Mehr als ein Drittel der Teilnehmenden hatte einen Migrationshintergrund. Die Mehrheit injizierte seit über zehn Jahren, die meisten (80%) hatten in den letzten 30 Tagen Drogen injiziert. Jeder Vierte gab an, täglich intravenös Drogen zu konsumieren. Zu den häufigsten aktuell konsumierten Substanzen gehörten Heroin (74%), Benzodiazepine (50%), Kokain (49%), nicht ärztlich verschriebenes Methadon (38%) und Crack (25% in Frankfurt, Hamburg und Hannover), Methamphetamin (67% in Leipzig) und Pregabalin (57% in München). Ein Großteil der an der Studie teilnehmenden Drogengebrauchenden hatte suchttherapeutische Erfahrung, zwischen 57-89%, je nach Stadt, waren jemals in Opioidsubstitutionstherapie (OST), 31-66% waren aktuell in OST.
Die Prävalenz von HIV bewegte sich in den einzelnen Studienstädten zwischen 0-9%, wobei insgesamt 80% ihre Diagnose kannten und 55% aktuell in antiretroviraler Therapie waren. Die Hepatitis C-Prävalenz bewegte sich zwischen 42-75%, eine aktive Infektion mit Virus-RNA lag in 23-54% vor. Von den Hepatitis C-Infizierten mit Behandlungsindikation wussten 85% von ihrer Infektion, 19% waren nach eigener Auskunft erfolgreich behandelt worden. Die Hepatitis B-Prävalenz betrug zwischen 5-33%. Davon lagen chronische Hepatitis B-Infektionen in 0,3-2,5% vor. Die Anti HBs-Seroprävalenz als Marker einer Impfung lag zwischen 15-52%.
Von allen Teilnehmenden mit injizierendem Konsum in den letzten 30 Tagen berichteten 10% Spritzen und Nadeln geteilt zu haben, 20% hatten Filter oder Löffel geteilt. Das Teilen von Spritzen/Nadeln war assoziiert mit einer ungenügenden Versorgung mit sterilen Nadeln und Spritzen je Konsumvorgang. Zwischen 36-69% der Teilnehmenden waren aktuell nicht ausreichend mit sterilen Spritzen/Nadeln für die injizierenden Konsumvorgänge versorgt. Das Teilen von Löffeln, Filter und Wasser wurde durch ein ungenügendes Wissen der Hepatitis C-Übertragung durch dieses Verhalten beeinflusst. Ein Fünftel der Teilnehmenden wusste nicht, dass dadurch Hepatitis C übertragen werden kann, fast die Hälfte kannte nicht das Risiko des Teilens von Sniefröhrchen. Wissenslücken zeigten sich auch zur Hepatitis B-Impfung, noch größere bei der HIV-Postexpositionsprophylaxe. Sexuelle Aktivität im letzten Jahr wurde von 83% der Frauen und 73% der Männer angegeben. Etwa 40% der Teilnehmenden haben kein Kondom beim letzten Sex mit einem nicht-festen Partner verwendet. 32% der Frauen und 14% der Männer berichteten Sex im Tausch gegen Geld oder Drogen.
Hafterfahrung wurde von 81% berichtet. 30% der jemals Inhaftierten gaben intravenösen Drogenkonsum in Haft an. Inhaftierung stellte sich als unabhängiger Risikofaktor für eine Hepatitis C-Infektion heraus, wobei die Stärke des Einflusses sowohl mit der Dauer der Gesamthaftzeit als auch mit der Anzahl der Inhaftierungen zunahm.
Zwischen 1-46% der Teilnehmenden je Studienstadt nahmen das HIV-Schnelltestangebot an, 30-80% die Kurzberatung zur Testung/Schließung von Wissenslücken.
Detaillierte Ergebnisberichte der DRUCK-Studie für die einzelnen Studienstädte wurden veröffentlicht. Ein Überblick über die Ergebnisse der Studie ist im Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch-Instituts publiziert. (Links siehe unten)
Schlussfolgerungen
In der niedrigschwelligen Drogenhilfe sollten gezielte Kurzberatungen zur Verbesserung des Wissens zu den Infektionskrankheiten als regelmäßiges Angebot implementiert werden. Dafür sollten Mitarbeitende der Drogenhilfe Schulungsangebote erhalten. Die bedarfsorientierte Ausgabe von Konsumutensilien (wie Spritzen, Nadeln, Filter, Löffel, Wasser zur Injektion) sollte flächendeckend implementiert werden. Insbesondere Frauen, junge Drogengebrauchende unter 25 Jahren und Personen, die erst kürzlich ihren injizierenden Konsum begonnen haben, sollten auf lokaler Ebene gezielt mit Präventionsmaßnahmen erreicht werden.
Die Ärzteschaft, darunter Haftärzte und substituierende Ärzte, sollten die Hepatitis B-Impfung verstärkt anbieten und umsetzen. Zusätzlich sollten Hepatitis B-Impfungen auch in Beratungsstellen regelmäßig angeboten werden. Personen, die fortgesetzt Infektionsrisiken ausgesetzt sind, sollten regelmäßig auf HIV und Hepatitis C getestet werden. Das schließt eine Beratung zur Bedeutung des Testergebnisses ein. Alle HIV- und Hepatitis C-positiven Personen sollten zur Prüfung einer Therapieindikation und Behandlung zu infektiologisch oder hepatologisch tätigen Ärzten und HIV-Schwerpunkteinrichtungen überwiesen werden. Auf lokaler Ebene sollte eine gute Vernetzung des Suchtmedizinsystems mit dem niedrigschwelligem Setting und der Infektiologie/Hepatologie stattfinden. Die Ärzteschaft (Allgemeinärzte, Gynäkologen, Internisten, Infektiologen, Suchtärzte) sollte verstärkt darüber informiert werden, dass Ärzte für IVD die wichtigste Informationsquelle zu HIV, Hepatitis B und C darstellen. In Justizvollzugsanstalten sollten Hepatitis B-Impfung, vertrauliche und freiwillige Testung auf Hepatitis C und HIV begleitet von einem Beratungsgespräch zur Erläuterung des Testergebnisses und Möglichkeiten der Behandlung als Regelangebot implementiert werden. Intravenös Drogengebrauchende in Haft sollten Zugang zu evidenzbasierten Maßnahmen der Prävention von HIV, Hepatitis B und C haben.
Ein ausführlicher Abschlussbericht mit konkreten Schlussfolgerungen und Empfehlungen ist online verfügbar. Die Ergebnisse der DRUCK-Studie sind in die Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C sowie anderer sexuell übertragbarer Infektionen ("BIS 2030 - Bedarfsorientiert, Integriert, Sektorübergreifend", Link siehe unten) eingeflossen. Die Ergebnisse und Empfehlungen der Studie werden relevanten Akteuren zur Verfügung gestellt. Neben verschiedenen weiteren Auswertungen und wissenschaftlichen Publikationen ist die Verbreitung der Ergebnisse der DRUCK-Studie in diverse Gruppen/Institutionen (insbesondere Drogenhilfe, Suchtmediziner und Substitutionsärzte, ÖGD) im Rahmen von Vorträgen und Besuch von Veranstaltungen geplant.