Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ) zu Poliomyelitis mit Schwerpunkt Abwasseruntersuchung
Stand: 17.04.2025
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Poliomyelitis („Kinderlähmung“) ist eine hochansteckende Krankheit, die vor allem Kinder unter fünf Jahren betrifft und bei nicht ausreichend immunisierten Personen zu dauerhaften Lähmungen führen kann. Sie wird hauptsächlich fäkal-oral (über Kontaktinfektion) übertragen. In Ländern mit hohen Hygienestandards spielt eine respiratorische Übertragung (durch Tröpfchen) vermutlich eine größere Rolle, da sich die Viren zuerst im Rachen vermehren. Impfungen verhindern zwar die Krankheit, allerdings nicht die Ansteckung (Infektion). 1988 hat sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Ziel gesetzt, Poliomyelitis weltweit durch Impfprogramme zu eradizieren. Polio-Wildviren vom Typ 2 und Typ 3 sind mittlerweile ausgerottet, Polio-Wildviren Typ 1 kommen noch in Afghanistan und Pakistan vor. In einigen Ländern zirkulieren zudem Polioviren, die vom Schluckimpfstoff abgeleitet sind (siehe FAQ „ Was sind Impfstoff-abgeleitete Polioviren (vaccine-derived polio virus, VDPV)?“) und die bei unzureichend Geimpften zu Erkrankungen führen können (siehe „ Was ist der Unterschied zwischen Impfviren und Schluckimpfstoff-abgeleiteten Polioviren?“). Diese Impfviren und Schluckimpfstoff-abgeleiteten Viren können auch nach Deutschland importiert werden. Siehe auch RKI-Ratgeber zu Poliomyelitis und FAQ des RKI zur Schutzimpfung gegen Poliomyelitis.
Stand: 17.04.2025
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Weltweit existieren zwei Arten von Polio-Impfstoffen: eine Schluckimpfung, die abgeschwächte vermehrungsfähige Impfviren enthält (oral polio vaccine, OPV); und ein inaktivierter Impfstoff (inactivated polio vaccine, IPV), der in den Muskel gespritzt wird.
Die Schluckimpfung ist sehr effektiv, frisch Geimpfte scheiden die abgeschwächten Impfviren aber eine Zeit lang aus. In Ländern, in denen die Schluckimpfung genutzt wird, ist dies sogar zu einem Teil erwünscht, weil so auch Menschen mit den abgeschwächten Impfviren in Kontakt kommen und immunisiert werden, ohne die eigentliche Schluckimpfung zu bekommen.
Wenn diese abgeschwächten Impfviren länger zirkulieren, können sie sich genetisch so verändern, dass sie wieder krank machend (pathogen) sind und bei Menschen, die nicht oder unzureichend geimpft sind, Lähmungen hervorrufen können. Dann spricht man von Schluckimpfstoff-abgeleiteten Polioviren (vaccine-derived poliovirus, VDPV).
Von zirkulierenden VDPV (cVDPV) spricht man zum Beispiel, wenn genetisch übereinstimmende Impfstoff-abgeleitete Polioviren im Abwasser mehr als 60 Tage an einem Standort oder gleichzeitig an verschiedenen Orten nachgewiesen werden.
Da die Schluckimpfung derzeit noch in einigen Ländern eingesetzt wird, sind Nachweise von Impfviren im Abwasser nicht ungewöhnlich, auch in Ländern, die keine Schluckimpfung mehr nutzen. So wird in Deutschland seit 1998 ausschließlich IPV-Impfstoff verimpft, durch Reisende wurden aber bereits mehrfach Impfviren nach Deutschland gebracht und im Abwasser nachgewiesen.
Anhaltende Nachweise von zirkulierenden Schluckimpfstoff-abgeleiteten Viren (cVDPV) sind jedoch ungewöhnlich und können Menschen gefährden, die nicht ausreichend gegen Polio geimpft sind. Menschen, die vollständig gegen Polio geimpft wurden, sind sehr gut vor der Erkrankung durch Schluckimpfstoff-abgeleitete Polioviren (ebenso wie vor der Erkrankung durch Wild-Polioviren und abgeschwächten Impfviren) geschützt. Allerdings können sich auch vollständig Geimpfte mit (zirkulierenden) Schluckimpfstoff-abgeleiteten Viren infizieren und diese ausscheiden, ohne daran zu erkranken. Siehe FAQ des RKI zur Schutzimpfung gegen Poliomyelitis.
Stand: 11.02.2025
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Nicht oder nicht vollständig geimpfte Menschen, die sich mit cVDPV infizieren, können in seltenen Fällen an Poliomyelitis erkranken.
Stand: 17.04.2025
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Die WHO-Region Europa gilt seit 2002 als Polio-frei. Um Erkrankungsfälle frühzeitig zu erkennen, gibt es in Deutschland eine bundesweite Enterovirussurveillance (Polioviren zählen zu den Enteroviren): Bei Hirnhautentzündungen, Gehirnentzündungen und dem Auftreten von akuten schlaffen Lähmungen sollen Kliniken Proben von Patientinnen und Patienten in spezialisierten Laboren untersuchen lassen. Dieses Labornetzwerk wird vom Nationalen Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren (NRZ PE) am Robert Koch-Institut koordiniert, das bei Bedarf auch eine weiterführende Diagnostik anbietet (siehe " Worauf sollten Ärztinnen und Ärzte achten? "). Das NRZ PE ist auch Regionales Referenzlabor der WHO. Zusätzlich wird im NRZ PE im Rahmen eines Forschungsprojekts das Abwasser an einigen Standorten Deutschlands auf Polioviren untersucht. Die dabei nachgewiesenen Polioviren werden durch genetische Analysen (Sequenzierung) näher charakterisiert. Durch Abwassertestungen lassen sich auch zirkulierende Polioviren frühzeitig identifizieren – bevor Erkrankungen bei Menschen auftreten (siehe " Wie funktionieren die Abwasseruntersuchungen?").
Stand: 17.04.2025
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Abwasseruntersuchungen dienen als Frühwarnsystem, mit dem man sehr früh Hinweise auf eine mögliche Poliovirus-Zirkulation in der Bevölkerung erhalten kann. Seit Mai 2021 wird im Rahmen des Forschungsprojekts „PIA – Polioviren im Abwasser“ das Abwasser an einigen Standorten in Deutschland auf Polioviren untersucht. An PIA sind das NRZ PE, das Umweltbundesamt und weitere Kooperationspartner beteiligt.
Der Prozess ist zeitaufwändig. Zuerst müssen die Abwasserproben speziell aufbereitet werden. Da Polioviren – sofern sie im Abwasser vorhanden sind – nur in sehr geringen Mengen vorliegen, werden die Abwasserproben zunächst aufkonzentriert und anschließend mittels Zellkultur auf das Vorhandensein von Polioviren untersucht. Erst durch die Analyse des Viren-Erbguts lässt sich bestimmen, um welche Art von Polioviren es sich handelt, also um ein Wildvirus, Impfvirus oder Impfstoff-abgeleitetes Virus.
Stand: 17.04.2025
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Generell zeigen Nachweise im Abwasser, dass es Menschen im Einzugsgebiet des Klärwerks gibt, die vom Schluckimpfung-abgeleitete Polioviren mit dem Stuhl ausscheiden. Siehe auch " Können von Schluckimpfstoff-abgeleitete Polioviren krank machen?", " Was kann man tun, um sich zu schützen?" und " Worauf sollten Ärztinnen und Ärzte achten? ".
Stand: 17.04.2025
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Im Rahmen des Forschungsprojekts „PIA – Polioviren im Abwasser“ wird das Abwasser an mehreren Standorten in Deutschland regelmäßig auf Polioviren getestet: München, Mainz, Köln, Bonn, Düsseldorf, Dresden und Hamburg, hinzugekommen sind auch Berlin, Stuttgart und Frankfurt. Im November und Dezember 2024 gab es an allen Standorten bis auf Frankfurt Nachweise von cVDPV2, teils über mehrere Wochen (siehe Informationen im Epidemiologischen Bulletin 48/2024, 49/2024 und 5/2025). Die bislang einzigen zwei Nachweise von cVDPV2 im Abwasser im Jahr 2025 stammen aus Düsseldorf in Kalenderwoche 3/2025 und Hamburg in Kalenderwoche 13/2025, siehe Update im Epidemiologischen Bulletin 16/2025. In allen anderen Proben aus den zwei Städten und allen anderen Beprobungsstandorten wurde cVDPV2 nicht mehr nachgewiesen. Bislang wurden dem RKI keine klinischen Fälle von Poliomyelitis übermittelt.
Das RKI geht davon aus, dass es sich bei den Nachweisen von cVDPV2 im Abwasser in Deutschland um multiple, parallele Importe aus einem oder mehreren bisher nicht identifizierten Ländern handelt. Es gibt bislang keine Belege, dass die Importe zu einer lokalen Transmission geführt haben, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu einer lokalen oder zeitlich begrenzten Übertragung gekommen ist. Obwohl das System eine vollständige Abwesenheit von cVDPV2 nicht beweisen kann, spricht die aktuelle Befundlage dafür, dass keine umfassendere Transmission erfolgt ist.
Eine vollständige Impfung ist der wichtigste Schutz vor der Erkrankung. Aktuelle Polio-Impfquoten bei Kindern nach Bundesländern und Landkreisen sind bei VacMap abrufbar. Siehe „ Was kann man tun, um sich zu schützen?“
Stand: 17.04.2025
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Eine vollständige Impfung ist der wichtigste Schutz vor der Erkrankung.
Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollten generell gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) gegen Polio geimpft sein. Bestehende Impflücken sollten mit dem zu injizierenden inaktivierten Polio-Impfstoff (IPV) geschlossen werden. Siehe hierzu die Infografiken zur Überprüfung des Poliomyelitis-Impfschutzes für alle Altersgruppen, die Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Polio-Impfung und die Informationen des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit unter www.impfen-info.de. Aktuelle Polio-Impfquoten bei Kindern nach Bundesländern und Landkreisen sind bei VacMap abrufbar.
Außerdem sollte immer auf eine gute Hygiene geachtet werden.
Stand: 17.04.2025
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Es ist möglich, dass in Deutschland vereinzelt cVDPV-Fälle unter nicht ausreichend geimpften Menschen auftreten. Daher wird die Ärzteschaft gebeten:
- Die wichtigste Maßnahme zur Vorbeugung von Poliomyelitis ist die Polioimpfung. Ärztinnen und Ärzte sollten daher den Impfstatus u.a. von Kindern und bei Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, zum Beispiel Geflüchtete und Asylsuchende, überprüfen und versäumte Impfungen so schnell wie möglich nachholen (siehe " Was kann man tun, um sich zu schützen?").
- Ärztinnen und Ärzte sollten generell unabhängig von einer Reiseanamnese an die Differenzialdiagnose Poliomyelitis denken.
- Bei Verdacht auf Poliomyelitis sollte zur Sicherung der Diagnose unverzüglich Kontakt mit dem Nationalen Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren am Robert Koch-Institut aufgenommen werden. Für weitere Informationen zur Diagnostik siehe RKI-Ratgeber zu Poliomyelitis.
- Bereits der Verdacht auf Poliomyelitis ist nach § 6 Infektionsschutzgesetz (IfSG) sofort dem zuständigen Gesundheitsamt zu melden. Die Meldung muss dem Gesundheitsamt spätestens 24 Stunden nach Auftreten des Verdachts vorliegen. Als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer wenn diese traumatisch bedingt ist.
- Auch bei Patientinnen oder Patienten mit aseptischer Meningitis oder Enzephalitis sollten im Rahmen der Nationalen Enterovirussurveillance unentgeltlich Polioviren ausgeschlossen werden: Einsendescheine können hier angefordert werden.
Stand: 17.04.2025
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Der Polio-Notfallausschuss der Weltgesundheitsorganisation wurde entsprechend der Internationalen Gesundheitsvorschriften (International Health Regulations, IHR) eingesetzt. Der Notfallausschuss besteht aus unabhängigen, internationalen Fachleuten und befasst sich mit den Risiken einer internationalen Ausbreitung von Polioviren für die öffentliche Gesundheit. Der Notfallausschuss tagt üblicherweise alle drei Monate und schlägt dem WHO-Generaldirektor vor, wie die internationale Ausbreitung von Polioviren verringert werden kann.
Das Auftreten von zirkulierenden Impfstoffabgeleiteten Viren (cVDPV) in Abwasserproben in Deutschland seit Ende des Jahres 2024 (siehe auch „ Wie ist die aktuelle Situation in Deutschland?“) hat das Robert Koch-Institut gemäß der Internationalen Gesundheitsvorschriften an die WHO gemeldet. Solche Nachweise in Abwasserproben wurden auch aus mehreren anderen europäischen Staaten gemeldet (Eurosurveillance 23.1.2025).
Während der jüngsten Sitzung am 6.3.2025 stellte der Polio-Notfallausschuss der WHO fest, dass Poliomyelitis weiterhin eine internationale Gesundheitsnotlage darstellt. Im dazugehörigen Bericht des Notfallausschusses, der am 10.4.2025 veröffentlicht wurde, werden mehrere Länder erwähnt, in denen cVDPV2 in Abwasserproben gefunden worden waren (states infected with cVDPV2, with or without evidence of local transmission). Hierzu gehört nun erstmals auch Deutschland. In Bezug auf Deutschland schätzte der Polio-Notfallausschuss der WHO die Situation so ein, dass eine lokale Übertragung weder nachgewiesen noch ausgeschlossen werden kann. Eine Gefahr für eine internationale Verbreitung von Polioviren stelle Deutschland jedoch nicht dar. Die Internationalen Gesundheitsvorschriften (international health regulations, IGV) ermöglichen es, dass betroffene Länder Empfehlungen zu vorübergehenden Maßnahmen erhalten; diese sind für die Mitgliedsstaaten gemäß Artikel 1 IGV jedoch nicht bindend.
Für Staaten, in denen cVDPV2 nachgewiesen wurde, wurden u.a. folgende Empfehlungen ausgesprochen: So sollen unter anderem Untersuchungen und Risikobewertungen durchgeführt werden, um festzustellen, ob eine lokale Übertragung des eingeschleppten cVDPV2 stattgefunden hat. Außerdem sollen die Anstrengungen zur Erhöhung der Durchimpfungsrate bei Routineimpfungen verstärkt werden, da eine hohe Durchimpfungsquote ein wesentliches Element der Strategie zur Ausrottung von Polio ist. Die wesentlichen Empfehlungen der WHO wurden hierzulande bereits nach den ersten Abwasserfunden im November 2024 umgesetzt, siehe Epidemiologisches Bulletin 16/2025. Das RKI ist im engen Austausch mit den Landesbehörden. Diese wiederum stehen in engem Kontakt mit den Gesundheitsämtern, um Impflücken zu schließen und klinische Verdachtsfälle frühzeitig zu entdecken.
Stand: 17.04.2025
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Siehe hierzu den "Leitfaden für Gesundheitsämter zum Vorgehen bei Fällen von Poliomyelitis in der Bundesrepublik Deutschland" von der Nationalen Kommission für die Polioeradikation in der Bundesrepublik Deutschland und dem NRZ PE am Robert Koch-Institut.
Stand: 09.12.2024
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Das Abwasser spielt generell als Infektionsquelle für die Allgemeinbevölkerung keine Rolle. In Deutschland hat das Umweltbundesamt Expertise und Zuständigkeit für Abwasser.
Stand: 09.12.2024
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Die Weltgesundheitsorganisation hat die internationale Ausbreitung von Polio-Wildviren bereits im Jahr 2014 zu einer internationalen gesundheitlichen Notlage (Public Health Emergency of International Concern, PHEIC) erklärt. Das Ausrufen eines PHEIC ermöglicht es betroffenen Ländern, dass weitere Maßnahmen ergriffen bzw. intensiviert werden können, z.B. hinsichtlich Impfstoffverfügbarkeit, des Ausbaus diagnostischer Kapazitäten und weiterer Maßnahmen für die öffentliche Gesundheit. Der internationale Gesundheitsnotstand wegen Polio ist seither regelmäßig verlängert worden (zuletzt im April 2025).
Stand: 17.04.2025
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Unter www.rki.de/polio sind Informationen des RKI für die Fachöffentlichkeit zu finden, u.a. der RKI-Ratgeber mit Hinweisen zu Erkrankung, Prävention, Diagnostik und Therapie. Informationen zur Schutzimpfung gegen Poliomyelitis, darunter FAQ und Infografiken zum Überprüfen des Poliomyelitis-Impfschutzes, sind unter www.rki.de/polio-impfung abrufbar, Bürgerinformationen zum Impfen beim Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG, früher BZgA): www.impfen-info.de.
Stand: 17.04.2025