Remer T, Johner SA, Gärtner R, Thamm M, Kriener E (2010): Jodmangel im Säuglingsalter - ein Risiko für die kognitive Entwicklung
Dtsch. Med. Wochenschr. 135 (31-32): 1551-1556. Epub Jul 27.
Dass ein schwerer Jodmangel während der Schwangerschaft die Gehirnentwicklung des Embryos und Feten gravierend beeinflusst und in extremen Fällen Kretinismus droht, ist bekannt. Neuere Studien belegen, dass sich bereits ein milder Jodmangel in Schwangerschaft und ersten Lebensjahren ungünstig auf die Gehirnentwicklung auswirkt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet Jodmangel als die häufigste Ursache für vermeidbare frühkindliche Hirnschädigungen. Die bei Jod-Defizienz unzureichende Produktion des vierfach jodierten Thyroxins scheint hier kausal eine Rolle zu spielen. Aufgrund der beim Säugling sehr eingeschränkten Jodspeicherkapazität der Schilddrüse und der entsprechend hohen Sensitivität gegenüber Schwankungen in der Jodzufuhr, ist insbesondere in dieser Lebensphase ein adäquates möglichst gleichmäßiges Jodangebot von Bedeutung. In den ersten Lebensmonaten, in denen Milch die einzige Energie- und Nährstoffquelle darstellt, sind Säuglinge, die mit kommerzieller Formula ernährt werden, i. d. R. ausreichend mit Jod versorgt. Ganz im Gegensatz zu gestillten Säuglingen, die abhängig von der maternalen Jodversorgung häufig nur ein inadäquates Zufuhrniveau erreichen. Zudem kritisch zu beurteilen ist die Jodzufuhr in der Beikost-Phase: vor allem selbsthergestellte Beikost ist jodarm, aber auch industriell gefertigte Breie und Menüs sind nur zum Teil mit Jod angereichert. Bei gleichzeitig unzureichender Jodversorgung der noch stillenden Mutter und bevorzugter Verwendung von jodärmerer Biomilch ist eine ausreichende Jodversorgung des Säuglings nicht gewährleistet. Im Sinne einer Optimierung der Nährstoffzufuhr, insbesondere im Hinblick auf die Ermöglichung einer ungestörten Gehirnreifung, sollte der Referenzwert der deutschsprachigen Ernährungsgesellschaften für die Jodzufuhr bis zum 4. Lebensmonat von derzeit 40 µg/d auf mindestens 60 µg/d angehoben werden (WHO-Empfehlung: 90 µg/d).
Iodine deficiency in infancy - a risk for cognitive development
Severe iodine deficiency during pregnancy seriously influences fetal brain development and in the worst case induces cretinism. Recent studies have shown that even a mild iodine deficiency during pregnancy and during the first years of life adversely affects brain development. The World Health Organisation (WHO) considers iodine deficiency as the most common preventable cause of early childhood mental deficiency. In this context, the insufficient production of the four iodine atoms containing thyroxine seems to play a causal role, i. e., due to the iodine substrate deficiency the neuronally particularly relevant free-thyroxine level falls. Due to the very limited iodine storage capacity, the infantile thyroid is eminently dependent on an adequate and steady iodine supply. In the first month of life, when milk is the only energy- and nutrient provider, infants fed a commercial formula regularly have a sufficient iodine supply. However, breastfed infants, who depend on maternal iodine status, frequently show an inadequate iodine intake. Furthermore, iodine intake is critical when complementary food (CF) is introduced. Especially homemade CF is poor in iodine, but also commercial CFs are only partly fortified. A simultaneous inadequate iodine supply of the breastfeeding mother and the preferential use of mostly iodine-poor organic milk cannot ensure an adequate iodine supply of the infant. In terms of an improvement of nutrient supply, especially concerning an unhindered brain development, the corresponding German reference value for iodine intake of infants until age 4 month should be raised from currently 40 µg/d to at least 60 µg/d (WHO-reference: 90 µg/d).